Kempten – „Ein gutes Essen bringt gute Leute zusammen“, soll einmal ein bekannter griechischer Philosoph gesagt haben. Es scheint daher konsequent zu sein, dass im Haus International kürzlich ukrainische Okroschka, türkische Linsensuppe und indonesische Klebreisbällchen verspeist und nebenbei über ein gelungenes Zusammenleben diskutiert wurde. 

Lajos Fischer, Redakteur des Kemptener Kreisboten, moderierte diesen Bewegten Donnerstag zum Thema Zugehörigkeit. Die beiden Referentinnen Ayla Inan, Sozialdienst muslimische Frauen Kempten – SmF Kempten e.V., und Arta Ramadani, TV-Redakteurin und Buchautorin sowie die rund 30 Gäste beteiligten sich rege am Gespräch. 

Eigene und fremde Zuschreibungen 

Lajos Fischer ließ die Anwesenden den Satz „Ich gehöre…“ vervollständigen. Antworten waren unter anderem: „zu mir“; „zur Welt“; „meiner Familie“; „meiner Frau“; „dahin, wo ich kommunizieren kann“, „dahin, wo ich wertgeschätzt werde“. 

Schnell stellte sich bei den Antworten der Gäste mit einem migrantischen Hintergrund heraus, wie bestimmend die Fremdzuschreibung für die eigene Verortung ist. So beschrieb Ayla Inan, dass sie sich in ihrer Schulzeit weder Deutschland noch der Türkei zugehörig fühlte. Ähnliches berichteten die Töchter von Kjemal Tushi, dem Vorstandsvorsitzenden des albanischen Vereins Kosova in Kempten: „In Deutschland bist du der Ausländer, in der Türkei der Albaner und in Albanien bist du der Türke.“ 

Dennoch, so berichtet eine der Töchter, hätte sie sich immer akzeptiert gefühlt. Fremdzuschreibungen können manchmal auch überraschend sein. So wurde Ayla Inan bei einem Besuch in der Zentrale des SmF in Nordrhein-Westfalen als Bayerin erkannt: „Ich hätte nie gedacht, dass ich Dialekt spreche.“ 

 

Sich selbst einbringen 

Wie ist es aber mit der eigenen Zuschreibung? Bringt man sich mehr ein, wenn man sich selbst als Teil der Gesellschaft begreift? Der SmF in Kempten wurde kürzlich mit dem bayerischen Integrationspreis ausgezeichnet und ist für den Deutschen Engagementpreis nominiert. Auch in diesem Abend stießen die Tätigkeiten des SmF auf Begeisterung. „Wertvoll“ fand den SmF Gerd Schneider, der als Lehrer „jahrzehntelang die Parallelgesellschaft miterlebt“ und so eine Öffnung noch nie gesehen habe. 

Denn, das stellt Inan klar: „Wir sind offen für alle. Die Vielfalt bereichert uns“ und „wir distanzieren uns nicht von der Religion, aber machen keine religiöse Arbeit“. Darum beschäftigt der SmF in Kempten auch nichtmuslimische Frauen. Ramadani erzählte, dass ihr „türkische Mitbürger die Augen geöffnet“ hätten, dass man sich in Deutschland engagieren könne. 

Ihre Landsleute verortete sie „mit dem Körper in Deutschland und dem Herzen in Kosovo“. In ihrer Heimatstadt Mannheim gebe es zwar einen albanischen Verein, der aber die Stadt wenig mitgestalte. Sie vermutete darin den Wunsch, das Alte nicht aufgeben zu wollen, dass aufgrund des Vertriebenseins noch eine große Sehnsucht auf Kosovo-Deutsche ausübe. Tushi bestätigte, dass man in der albanischen Community bei Problemen zum Familienoberhaupt „renne“ und die Hilfe nicht in der deutschen Gesellschaft suche. 

Die vielen Austritte aus der organisierten Zivilgesellschaft sind jedoch ein allgemeines Phänomen. Fischer führte dazu die zahlreichen Austritte aus der Kirche, den Gewerkschaften, den Parteien und die überalterten Vereine an. 

„Menschen sehen Organisationen immer mehr als Dienstleister nicht als Möglichkeit sich einzubringen“, sagte Fischer. Zudem halte er Kulturpessimismus und Gleichgültigkeit für die größte Gefahr für die Demokratie. Was kann man dagegen tun? 

 

Lösungsvorschläge 

„Eine neue Streitkultur und Themenbündnisse statt Parteien“, forderte eine Teilnehmerin, „mehr wahrhaftige Begegnungen und weniger Internetkonsum“, eine andere Teilnehmerin. Es liege an unseren Wohlstand, unserer Bequemlichkeit, an „politisch sprechenden Politikern“, oder auch an „Algorithmen, die demokratiegefährdende Inhalte in den Sozialen Medien fördern“, hieß es am Tisch. 

Dr. Christine Müller Horn, Leiterin des Kempten-Museum, erzählte, wie sie mit ihrem Sohn die Hühner am Reglerhaus besuchte. Dort kämen „Jung und Alt“ zusammen. Niedrigschwellige Angebote bringen die Menschen vielleicht wieder zusammen: „Dinge, wie zusammen kochen, gärtnern, Hühner füttern“. 

 

Text Tizian Pöhlmann 

Quelle: Tischgespräch über Zugehörigkeit und Zusammenleben (kreisbote.de) 

Stand:13.10.2023, 17:14 Uhr